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Das Morphin hatte Lena ganz schön zugesetzt. Und trotzdem wollte sie es nehmen, denn es erschien ihr immer noch als die einzige Lösung, ihr Leben wieder halbwegs in Ordnung zu bringen.

Am nächsten Tag stand sie früh auf, nahm eine Tablette und fühlte nach einer kurzen Weile sogar, wie ihre Stimmung besser wurde. „Ja, jetzt werde ich mein altes Leben wieder aufnehmen!“, sagte sie zu sich selbst, obwohl da doch dieser Traum war. Dennoch fuhr sie in Gedanken fort, „Ich werde mich zusammenreißen und Morphin wird mir dabei helfen.“ Sie lächelte hoffnungsvoll und humpelte zu ihrem Kleiderschrank. Das Humpeln war bereits weniger geworden, denn das Morphin unterdrückte die Schmerzen sehr wirkungsvoll.

Motiviert kleidete sie sich an und ging hinunter zu ihrem Auto. Sie stieg ein und wollte schon losfahren, als sie ein seltsames Gefühl beschlich. Zwar hatte sie keine Ahnung, woher dieses Gefühl plötzlich kam, jedoch stieg sie aus und folgte ihrer Intuition. Und da entdeckte sie hinter ihrem linken Vorderreifen ein kleines verwundetes Vogelküken.

„Das ist aber auch wirklich seltsam. Ständig sehe ich irgendwelche Vögel, träume von Vögeln und werde von Vögeln beobachtet“, sagte sie zu sich selbst. „Das kann doch alles nicht wahr sein. Aber das hier ist real, es liegt ja vor mir, hier …“ Lena hob das kleine Küken vorsichtig auf, legte es in ein Papiertaschentuch und nahm sich vor, mit ihm in die nächste Tierarztpraxis zu fahren – und dann hoffentlich nicht zu spät zur Arbeit zu kommen.

Doch es kam anders. Kaum war sie vor der einzigen Tierarztpraxis angekommen, die ihr bekannt war, stand dort „Wegen Krankheit heute geschlossen“.

„So ein Mist“, schimpfte Lena, „Was soll ich denn jetzt machen?“, dachte sie ratlos und spürte, wie ihre Schmerzen sich in ihren Beinen schon wieder bemerkbar machten. Und das trotz des Morphins. Lena nahm sich zusammen und überlegte. „Ich könnte das Vögelchen einfach am Straßenrand aussetzen, schließlich war es ja schon sein Schicksal, verwundet unter meinem Auto zu liegen“, versuchte sie sich einzureden. Lena verwarf diese Idee jedoch sofort wieder, denn das konnte sie einfach nicht. Denn dann fiel ihr auf, „Ja, es hat unter meinem Auto gelegen, jetzt bin ich für es verantwortlich.“ Die nächste Idee war, „Cat!“ aber, „Cat ist ja auch bei der Arbeit. Und, ach, Cat hat sicherlich auch keine Ahnung, wie man ein solches Vögelchen gesund macht.“

Die einzige Lösung, die sie sah, war, das Vögelchen mit zu ihrem Arbeitsplatz zu nehmen und es in einer Ecke in den Papiertaschentüchern niederzulegen, ihm etwas zu trinken anzubieten und vielleicht ihre Assistentin damit zu beauftragen, einen Tierarzt ausfindig zu machen, der dem Vögelchen einen Hausbesuch abstatten würde. Das war eine Lösung und eine brauchbare zugleich. Also prüfte sie kurz, ob das Küken noch am Leben war, und als sie sich dessen vergewissert hatte, fuhr sie los.

Die Idee mit dem Tierarzt klappte. Circa eine Stunde später stand er in ihrem Büro und schaute sich das Küken an. „Es leidet einfach nur an übermäßiger Aufregung sowie an Heimweh“, stellte er fest. „Naja, und den Kratzer hat es sich möglicherweise an einer herumliegenden Glasscherbe geholt. Nun braucht es viel Schlaf und klares Wasser, um wieder auf die Beine zu kommen. Zum Glück ist es nicht mehr von der Mutter abhängig, sodass es alleine überleben kann, sobald es wieder gesund ist. Dann können Sie es am besten im Stadtwald aussetzen. Es wird dann sehr wahrscheinlich überleben.“

Dann ging der Tierarzt wieder und Lena war irgendwie erleichtert. „Es wäre kein schöner Arbeitsbeginn gewesen, wenn es gleich zu Anfang eine Beerdigung gegeben hätte“, dachte sie. Und seltsamerweise fiel ihr bei diesem Gedanken die Stimme von Cat ein, die wahrscheinlich gesagt hätte, “Wieso Beerdigung – sowas würde ich einfach in den Müll werfen!“ Lena achtete aber nicht weiter auf diesen Gedanken, sondern begann, ihren Arbeitstag zu planen und die unzähligen E-Mails in ihrem Postfach abzuarbeiten.

Plötzlich stockte ihr der Atem, denn da war eine E-Mail von einer Idis. „Idis! Die Frau aus dem Waldhaus?“

Sie öffnete die Email, aber diese war völlig leer. Dennoch gab es einen Betreff, in welchem stand, “Erinnere dich an deine Entscheidung”.

Die E-Mail war zu einem völlig absurden Datum abgeschickt worden, und zwar zu einem Datum, welches ungefähr fünf Jahre in der Zukunft lag. „Wie seltsam“, dachte Lena völlig verwirrt und bemerkte dabei gar nicht, wie ihr Chef zur Tür hereinkam.

„Frau Siegres, zum Glück geht es Ihnen wieder besser“, sagte er, „Bitte kommen Sie kurz in mein Büro, wir haben einen neuen Kunden und es gibt etwas Wichtiges, das ich mit Ihnen besprechen möchte.“

Als sie in das Besprechungszimmer eintrat, war neben ihrem Chef auch noch eine Frau dabei, die einen feinen Businessanzug trug und sorgsam geschminkt war. Lena hatte diese Frau noch nie gesehen, jedoch beschlich sie das Gefühl, diese Frau dennoch irgendwoher zu kennen.

„Guten Morgen, Lena Siegres mein Name“, begrüßte Lena die neue Kundin.

„Guten Morgen, Frau Siegres, mein Name ist Elina Lenoire. Herr Leonhardt hat bereits viel über Sie erzählt, und dass sie eine seiner tüchtigsten Mitarbeiterinnen sind“, sie lächelte Lena an.

„Ich leite die Firma Colori GmbH und wir haben zurzeit große Schwierigkeiten in unserer Finanzabteilung. Unsere Abteilungsleiterin ist plötzlich sehr erkrankt und so dachten wir uns, ob Sie wohl unsere neue Mitarbeiterin schulen könnten?“ Frau Lenoire schaute Lena erwartungsvoll an.

Und Herr Leonhardt fügte hinzu, „Frau Siegres, wir erhöhen Ihr Gehalt sehr großzügig und Sie werden hier von Ihrer Assistentin äußerst kompetent vertreten. Sie machen das!“ Und Herr Leonhardt klopfte Lena auf die Schulter, was Lena etwas zusammenzucken ließ. Gleichzeitig entsprang Lenas linkem Bein ein überaus starker Schmerz und sie hatte Mühe, sich zusammenzureißen. Doch wie sie es gelernt hatte, lächelte sie freundlich und nickte.

„Ja, im Prinzip sehr gerne. Jedoch müsste ich darüber noch einmal schlafen …“, sagte Lena vorsichtig.

„Ach was“, fuhr ihr Herr Leonhardt über den Mund. „Sie machen das, Frau Siegres, im Übrigen sind die Verträge bereits unterzeichnet.“ Herr Leonhardt rieb sich die Hände, denn die Colori GmbH hatte eine stattliche Summe für Lena Siegres geboten und das würde sein Ansehen bei seinen Vorgesetzten erhöhen. Zwar war ihm schleierhaft, wieso die Colori GmbH so gut zahlte, aber für ihn zählten die Gewinne. Und er bestärkte Lena und sagte: „Und denken Sie an Ihre Gehaltserhöhung!“ Für Herrn Leonhardt war die Sache erledigt und er schaute ungeduldig auf seine teure Armbanduhr. Dabei lächelte er selbstzufrieden und Frau Lenoire war scheinbar auch glücklich.

Zum Abschied drückte sie Lenas Hand, und als Lena ihre Hand zurücknahm, erschrak sie. In ihrer Handfläche erschien das Bild eines kleinen goldenen Herzens mit einem roten Vogel in dessen Mitte. Sie schaute Frau Lenoire noch einmal an, und da zwinkerte diese ihr freundlich zu.

Trotz einer seltsamen Ahnung, die Lena nicht greifen konnte, wusste sie intuitiv, dass es sich bei der ganzen Sache um etwas Gutes handelte, und so lächelte sie zurück.

Als sie dann in ihr Büro gehen wollte, drehte sich Frau Lenoire plötzlich um und meinte: „Ach, Frau Siegres, ich habe ja noch etwas in Ihrem Büro vergessen, darf ich Sie kurz begleiten und es abholen?“

„Ja, gerne, aber … Sie waren doch gar nicht in meinem Büro“, stammelte Lena.

Aber Frau Lenoire lief bereits in die Richtung von Lenas Büro, und als auch Lena dort ankam, hörte sie das Vogelküken ganz laut piepen. Frau Lenoire ging geradewegs auf das Kleine zu, nahm es auf und versteckte es in ihrer Handtasche. „Danke, dass Sie auf Prinzess aufgepasst haben, es ist uns heute Morgen ausgerissen“, sagte sie, drehte sich um und war weg.

Lena war einfach nur sprachlos. „Was hat dies nur alles zu bedeuten?“, dachte sie, widmete sich aber dann wieder ihrer Arbeit, denn es gab sehr viel zu tun.

 

Als sie abends in ihrem Bett lag, sehr erschöpft von dem langen Tag und den Ereignissen, und nachdem sie eine weitere Dosis Morphin genommen hatte, dachte sie wieder über den Vorfall am Morgen nach. „Prinzess, Frau Elina Lenoire, das Verhalten von Herrn Leonhardt, und der neue Auftrag.“ Da fiel ihr ein, „Wir haben ja gar nicht über die Inhalte des neuen Auftrags gesprochen und die Verträge habe ich auch nicht gesehen …“

Äußerst erschöpft schlief Lena ein. Und nach einer Weile befand sie sich wieder im mysteriösen Waldhaus.

„Idis!“ Lena konnte sich nicht zurückhalten, „Kennst du eine Frau Lenoire?“

Idis grinste belustigt, „Ja, klar, was dachtest du denn? Irgendwie mussten wir ja einen Weg für dein Training finden.“

„Ja, aber, ich soll doch die neue Mitarbeiterin schulen“, erwiderte Lena.

„Denkt dein Chef“, warf Idis ein. „In Wahrheit brauchst du jetzt Zeit. Und was kann da besser sein, als dass du fürs Lernen bezahlt wirst, wenn du unbedingt arbeiten willst!“ Das schelmische Grinsen von Idis war einzigartig.

„Aber …“, Lena war etwas brüskiert. Sie nahm ihre Arbeit sehr ernst und würde niemals ihren Chef hintergehen. „Aber das kann schwerwiegende Folgen für meine Karriere haben!“, rief sie. „Und ich weiß nicht, was meine Familie und all die anderen dann von mir denken werden! Das kann ich nicht machen, das geht entschieden zu weit!“ Lena war nun richtig aufgebracht, doch als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, fiel ihr ihre Entscheidung ein. „Hm“, dachte sie, “meine Krankheit, und Papili… vielleicht hast du ja recht, Idis.“ Also nahm sie sich vor, sich mit der neuen Situation anzufreunden.

„Lena, jede Entscheidung, die du triffst, ist bindend. Du hast dich dafür entschieden, Papili zu befreien und nun wirst du es tun müssen. Entscheidungen, die im Waldhaus getroffen werden, können nicht rückgängig gemacht werden. Es sind Herzensentscheidungen“, sagte Idis streng.

„Du hast recht, Idis“, gab Lena zu, „ich habe es ausgesprochen, dass ich Papili befreien werde. Und ich will es ja auch! Nur habe ich immer noch keine Ahnung, wie ich es schaffen kann“, sprach sie ihre Zweifel aus. „Bisher habe ich ja auch alles andere alleine geschafft. Naja, bis auf … wieder gesund zu werden“, fiel ihr ein. „Oder endlich dieses Schokoladeessen zu lassen, oder mit diesen schrecklichen Impulskäufen aufzuhören.“ Und ihr fiel noch mehr ein. „Die letzten Lieferungen der Dinge, die ich im Internet bestellt hatte, habe ich noch nicht einmal mehr ausgepackt und nun stehen sie in meiner ganzen Wohnung herum.“ Je mehr sie sich bewusst wurde, wie viel sie in ihrem Leben eigentlich nicht unter Kontrolle hatte, desto trauriger wurde sie. „Wozu auch auspacken? Die Dinge machen mir ja doch keine Freude mehr, wenn sie erst einmal da sind.“

Eine Weile saß sie stumm da, etwas fassungslos über sich selbst und all die Dinge, die ihr gerade aufgefallen waren. Idis saß ihr gegenüber und schwieg. Das Bewusstwerden ihrer Situation hatte aber auch eine positive Wirkung, denn es gelang Lena daraus Motivation zu schöpfen.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Lena schließlich vorsichtig.

Idis lächelte einfach nur.

„Ok, dann beginnt meine Reise jetzt“, dachte Lena, erstaunt über dieses erfüllende Gefühl, welches damit einherging. Und niemand, außer ihr und ihrer neuen Mentorin Idis, wussten davon. Bis auf vielleicht noch Elina Lenoire …

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Anna Breitenöder,
Brand Empoweress

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