„Lena, nun weißt du, was du tun möchtest, richtig?“, fragte Idis.
Lena lächelte und nickte.
„Dann geht es ja bald los! Du wirst deine Aufgabe vor den Vogelfrauen vorstellen und offiziell als Wandlerin aufgenommen werden!“
Lena schaute Idis überglücklich an. „Ja, ich bin eine Wandlerin. Und eine Wandlerin, die den Menschen bei deren Wandlungen und Veränderungen hilft!“
„Dann lass uns jetzt den Heimweg antreten“, sagte Idis und sie verabschiedeten sich von Zara, die sich sogleich in Lichtstaub auflöste. Idis und Lena gingen in Richtung Waldhaus los und Papili flog voraus.
„Lass uns einfach gehen“, schlug Idis vor, „Der Spaziergang wird uns nach allem, was passiert ist, gut tun.“
So spazierten sie durch die frische Waldluft und ließen sich von der Sonne, die durch die Bäume hindurch schien, aufwärmen. Nach einer Weile piepte Papili etwas aufgeregt, flog auf Lenas Schulter und steckte seinen Kopf daraufhin immer wieder zwischen seine Federn, so als ob es Angst vor irgendetwas hatte. Idis und Lena schauten sich um, ob sie etwas Ungewöhnliches entdecken konnten, doch da war nichts. Doch plötzlich entdeckten sie vor sich eine ganze Horde wilder Klabuwees.
„Oh, kämpferische Klabuwees“, rief Idis etwas überrascht.
Die kämpferischen Klabuwees schauten nicht traurig oder schuldig. Nein, sie schauten sehr kampfeslustig und stellten sich den beiden Frauen und Papili einfach in den Weg.
Einer von ihnen, wohl der Anführer, trat nach vorne und sagte in bestimmtem Ton: „Bis hierher und nicht weiter!“
Idis und Lena schauten sich verdutzt an. Aber Lena konnte sehen, dass Idis Bescheid wusste, und war darüber verunsichert, warum diese ihr nicht beistand oder erklärte, was es mit dieser wilden Horde auf sich hatte.
„Wer sind diese wilden Klabuwees? Gehören sie zu mir?“, fragte sie vorsichtig.
„Nun, ja, Lena, sie gehören natürlich zu dir, denn alles, was du in dieser Welt wahrnehmen kannst, gehört zu dir, sonst würdest du es ja gar nicht bemerken“, erwiderte Idis.
„Klabuwees“, richtete sich Lena an die Gruppe der kämpferischen Gestalten, „Was genau wollt ihr von mir?“
Die kleinen Gestalten funkelten sie kampfeslustig an und der Anführer sagte mit lauter Stimme, „Wie gesagt, bis hierher und nicht weiter. Lena, du denkst, du wärst eine Wandlerin, aber das ist nicht wahr. Du bist eine Managerin, das hast du gelernt und du solltest zusehen, dass du so schnell wie möglich wieder in deine Welt zurückkommst, denn sonst werden wir dir Beine machen!“
„Moment“, sagte Lena verwundert, „Was soll das? Ich bin eine Wandlerin, dass das klar ist!“ Doch dann wurde sie unsicher und spürte, wie sie innerlich zu zittern begann.
„Was ist bloß los mit mir?“, fragte sie sich, „Wieso zittere ich nur, ich bin doch eine Wandlerin?“
„Die meisten, die bisher hier bei Idis waren, haben es nicht geschafft“, sagte ein besonders lautes Klabuwee, das nach vorne vor die Gruppe getreten war. „Wieso glaubst du, dass du es schaffen wirst, eine Wandlerin zu sein? Nur weil du mithilfe aller Vogelfrauen den Turm der Veränderung durchlaufen hast? Hä?“ Und das Kleine begann, Lena auszulachen. „Du bist so dumm, Lena, jetzt bildest du dir das alles ein und dann wirst du in deine Welt zurückkehren und nichts davon wird real werden!“
Und ein anderes Klabuwee kam dazu und sagte frech, „Lena, du träumst, was Idis dir erzählt hat. Das alles ist nicht wahr, zu lustig, dass du das alles glaubst. Und weißt du überhaupt, wer Elina ist, nicht einmal das weißt du!“
Lena begann hellhörig zu werden, denn es war wahr, dass es um Elina ein Geheimnis zu geben schien. „Ja, wer ist Elina und was will sie? Und wieso war Elina nie da, wenn ich meine Rituale hatte? Ja, das ist schon seltsam.“
„Wer ist denn Elina? Wisst ihr es denn?“, fragte sie dann die Klabuwees.
Das kleine Klabuwee lachte. „Sag ich dir nicht, du würdest es uns eh nicht glauben, denn du glaubst den Vogelfrauen, die alles, aber nur nicht das tun, was wirklich nützlich wäre.“
„Ja …“, auch hier überlegte Lena, „War es wirklich nützlich, in andere Menschen hineinschauen zu können? War es nützlich, Türme der Veränderung bauen zu können? Vielleicht nicht … Was soll ich in meiner Welt schon damit anfangen … Was zählt, sind harte Daten und Fakten, so wie ich es gelernt habe!“
„Ja, vielleicht habt ihr ja recht“, gab Lena zu und schaute dann zweifelnd zu Idis hinüber.
Idis aber stand still neben der Szenerie und beobachtete einfach nur, wartend, wie Lena wohl als Nächstes reagieren würde …
Dann trat ein anderes Klabuwee hervor und fragte herausfordernd: „Hast du Papili bereits befreit, Lena? Nein! Siehst du nicht, wie sie dich hintergehen, die Vogelfrauen? Zuerst hattest du ein Ritual, dann ein zweites und bald wirst du ein drittes haben. Woher weißt du, dass sie dich nicht zu einem vierten, fünften, sechsten und so weiter überreden und dich permanent hinters Licht führen? Wann wirst du dein Potenzial denn dann endlich leben?“
Lena zweifelte immer stärker an ihrem Tun und zunehmend an den Vogelfrauen. „Ja, das stimmt, ich weiß es nicht, wie es ablaufen wird.“ Lena wurde immer misstrauischer gegenüber den Vogelfrauen.
„Und Sephora? Woher weißt du, ob du sie je wiedersehen wirst? Sie ist ja jetzt auf der großen Wiese und du? Du bist hier und machst Rituale. Ging es nicht darum, dich mit ihr zu verbinden und durch sie dein Potenzial leben zu können?“, fragte dasselbe Klabuwee nun noch streitsüchtiger.
Lena zweifelte nun endgültig. „Ja!“, sagte sie, „Ihr habt recht. Aber was soll ich denn tun?“
Die Klabuwees grinsten selbstzufrieden und der Anführer sagte, „Na, ganz einfach, wir geleiten dich zum Ausgang in deine Welt. Wenn du dann dort bist, wirst du zwar nie wieder zurückkommen können, aber das ist ja dann auch gut so, denn die Vogelfrauen wollen nichts Gutes für dich.“
Lena war sehr hin- und hergerissen. Irgendetwas fühlte sich gar nicht gut an, aber was, wenn die kämpferischen Klabuwees recht hatten? Was, wenn sie tatsächlich in eine Falle getappt war, und die Vogelfrauen sie folglich ausnutzten und missbrauchen würden?
Lena schaute zu Idis hinüber, aber es fiel ihr schwer, ihr nun noch gänzlich zu vertrauen.
„Und Papili?“, dachte sie da. Zu Papili hatte sie Vertrauen. Das spürte sie. Jedoch hatte auch Papili sie alleine im Keller gelassen. „Kann ich denn Papili tatsächlich vertrauen?“, begann sie zu zweifeln.
„Papili?“, rief sie und Papili flatterte nervös und aufgeregt um sie herum. „Papili, was meinst du?“
„Piep! Piep! Piep!“, machte Papili. Aber es fand vor Aufregung keine Worte und sein Herz klopfte ganz fürchterlich. „Was, wenn Lena nun weggeht?“, hämmerte es einfach nur unaufhörlich in ihm und dieser Gedanke verstopfte nun vollständig seinen Kopf.
Auch Idis begann, sich Sorgen zu machen. „Wieso ist Lena plötzlich so leicht zu verunsichern?“, fragte sie sich. „Habe ich da womöglich etwas übersehen? Etwas im Vorfeld nicht bedacht? Denn Lena steigt wirklich sehr auf die Aussagen der kämpferischen Klabuwees ein. Zu sehr“, stellte Idis nun fest.
Sie schaute mit ihrem weisen Blick in Lena hinein und da sah sie es. Lena war gerade eben im emotionalen Alter von vier Jahren, dem Alter, in welchem sie damals in ihr Herz geflüchtet war. „Aber was war damals passiert, dass sie sich so einschüchtern ließ?“, fragte sich Idis dann. Und da sah sie es in allen Einzelheiten.
Lenas Vater hatte Lena damals so sehr angeschrien, denn er hatte regelmäßige Wutausbrüche gehabt. Lena hatte diesen Schock nie richtig verwunden. Der Schock war mitten in ihrem Herzen stecken geblieben. „Das war es also!“, dachte Idis und dann lächelte sie und sagte zu sich „Na, das kann geändert werden!“
Idis nahm Verbindung zu ihren Seelenschwestern auf und alle zusammen erstellten aus dem gemeinsamen Lichtstaub das Hologramm von Lenas Vater, der nun in voller Größe direkt vor den Klabuwees erschien, die sich kleinlaut an den Rand des Geschehens zurückzogen und die Szene beobachteten.
„Vater?“ Lena war starr vor Schock, da sie sich immer noch im emotionalen Alter von vier Jahren befand.
Ihr Vater hatte einen wütenden Gesichtsausdruck und schrie Lena fast wie wahnsinnig an. Wieso, das wusste Lena nicht. Sie brachte kein einziges Wort heraus und konnte sich noch nicht einmal mehr bewegen.
Da piepte es plötzlich ganz leise und schüchtern und Papili setzte sich auf Lenas Schulter. „Piep! Hör auf zu schreien!“, piepte es ängstlich. Und dann noch einmal, „Hör auf zu schreien und sei ruhig!“ Papili richtete sich ein wenig auf und seine Augen begannen, wütend zu funkeln. „Du schreist mich nie wieder an, Vater!“, hörte Lena sich da plötzlich sagen und ihr Vater hörte mit dem Geschrei ganz überrascht auf, denn ihm blieb einfach erst einmal die Luft weg. Dann sagte er, „Ich darf schreien, wenn ich will“, aber seltsamerweise blieb er still.
„Ich vertraue Papili und den Vogelfrauen. Lass mich einfach in Ruhe. Und auch ihr Klabuwees, beweist mir erst einmal, dass es nicht so ist, wie ich sage“, aber nun waren die Klabuwees schon längst nicht mehr da. Und auch ihr Vater löste sich einfach in Lichtstaub auf.
Dann fing Lena an zu weinen. Sie fühlte sich plötzlich von einer tonnenschweren Last befreit und so leicht, wie noch nie. Sie konnte tun, was sie wollte und niemand würde sie mehr aufhalten, das war ihr nun ganz klar.
Idis, die das ganze Spektakel beobachtet hatte, ging nun zu Lena und legte ihren Arm um sie. „Ja, Lena, du kannst wirklich tun, was du willst. Und sei dir bewusst, dass sich dir immer wieder kämpferische Klabuwees in den Weg stellen werden. Sie stehen aber immer für etwas, das du noch nicht bewusst durchlebt hattest.“
„Wenn sie dir in Zukunft begegnen, dann kannst du sie immer danach fragen, ob es zum Beispiel mindesten einen Gegenbeweis dafür gibt, was sie behaupten. Dann werden sie fast immer still sein und nicht mehr wissen, was sie dir noch erzählen sollen. Oder du sagst ihnen, dass diese Meinung längst überholt ist. Wenn sie dir daraufhin nichts entgegnen, dann kannst du dir sicher sein, dass sie nicht die Wahrheit gesagt haben. Wenn sie dir etwas sagen, dass du für wahr erachtest, dann nimm niemals hin, was sie dir gesagt haben, sondern frage dich zuerst, wie du es verändern kannst und du weißt ja, wie du Dinge verändern kannst! Du könntest in diesem Fall sogar Zara kontaktieren. Meistens wollen die kämpferischen Klabuwees aber einfach nur Streit anfangen, weil sie Angst haben und nicht weiterwissen. Dann streiten sie lieber als etwas Konstruktives zu tun, verstehst du?“
Lena nickte. „Ja, das leuchtet mir ein. Nun weiß ich also auch, wie ich mit den kämpferischen Klabuwees umgehen kann! Danke, Idis“, sagte sie und schaute ihre weise Mentorin dankbar an.
„Gut, dann gehen wir weiter“, sagte Idis erleichtert und sie gingen den schönen Waldweg entlang. So machten sie noch einen langen, reinigenden Spaziergang, der allen gut tat.
Deine Anna
...die macht, dass du dich zeigen willst.
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Anna Breitenöder
Personal Branding Expertin & Sehendmacherin